Rapa Nui

Rapa Nui

Rapa Nui

 

Auf den Spuren der steinernen Giganten

 

Jeder Stein erzählt eine Geschichte auf Rapa Nui, der einsamen Insel in der Weite des Pazifiks. Dennoch ist das Geheimnis der riesigen Kolosse noch immer nicht enträtselt. Eine Reise zu einem der größten Mysterien der Menschheitsgeschichte.

 

25 Stunden dauert der Flug von Deutschland. Die Entfernung allein sagt wenig darüber aus, wie verloren dieses winzig kleine Eiland in der unendlichen Weite des Pazifiks liegt. Die Osterinsel oder Rapa Nui „Großer Stein“, wie die Einheimischen ihre Insel und auch sich selbst nennen, ist laut dem United Nations ‚Isolation Index’ der einsamste Ort der Erde, am weitesten entfernt von jeder anderen menschlichen Siedlung. 3.800 Kilometer sind es zur chilenischen Küste, 4.200 nach Tahiti, 2.100 westlich zu den Pitcairn-Inseln, wo die Meuterer von der Bounty landeten. Politisch gehört die Osterinsel zu Chile, geographisch zu Polynesien. Rapa Nui ist der isolierteste Ort der Welt – und ganz gewiss einer der magischsten. ‚Rätsel’ ist das meist verwendete Wort, wenn von dem gerade mal 160 Quadratkilometer kleinen Eiland die Rede ist. Das hat mit den Moai zu tun, diesen bis zu zehn Meter hohen Kolossen, von denen rund 900 die Insel bevölkern. Seit der holländische Admiral Jacob Roggeveen 1772 an einem Ostersonntag an Land ging, versuchen ganze Heerscharen von Wissenschaftlern, Archäologen, Geologen, Anthropologen und Ethnologen dem Geheimnis der steinernen Giganten auf die Spur zu kommen, bisher ohne durchschlagenden Erfolg.

Den entlegenen Flecken in Form einer Triangel hat die chilenische Hotelgruppe explora nach dem Nationalpark Torres del Paine in Patagonien und San Pedro in der Atacamawüste für ihr drittes Haus gewählt, das im Dezember 2007 eröffnete. In die sensible Umgebung ein anspruchsvolles Hotel zu bauen, bedeutet eine besondere Herausforderung, der man mit hohen Umweltstandards begegnete. Gebaut wurde soweit wie möglich mit einheimischen Materialien. Das flache Gebäude, eine eigenwillige Konstruktion aus Vulkanstein und Holz schmiegt sich mit seinem gerundeten Grundriss so perfekt an den sanft abfallenden Hügel, dass es mit der Umgebung zu verschmelzen scheint. Vorbild für die geschwungene Form fand Architekt José Cruz Ovalle in den steinernen Rundbauten an der Südwestspitze der Insel, Ort des sagenumwobenen Vogelmannkults. Der Ausblick von den im Eco-Chic gestalteten Zimmern über die kleinen vulkanischen Kegel bis zum Meer ist atemberaubend. Unberührt wirkt diese menschenleere Landschaft, unsagbar friedlich, noch nicht einmal ein winziges Sträßchen ist auszumachen. Morgens fällt es schwer, sich von diesem Bild loszureißen, sogar die unschlagbar komfortabel gepolsterten Betten sind auf das Panorama ausgerichtet. Doch explora-Gäste sollen aktiv werden. Kern der Unternehmensphilosophie ist der Anspruch, dem Reisenden authentische Erlebnisse fremder Kulturen und unberührter Landschaften zu verschaffen. Gäste sollen, die Trekking-Schuhe an den Füßen, diese außergewöhnlichen Regionen selbst erforschen, nicht bloß konsumieren. Einheimische Guides begleiten die Exkursionen mit maximal acht Teilnehmern. Am Abend zuvor gibt es ein kurzes Briefing über die Höhepunkte der geplanten Tour.

Die erste Begegnung mit den Moais von Ahu Akivi wird zu einem Moment, den man niemals vergisst. In stiller Würde verharren sieben Moais auf ihrem Ahu, einer lang gestreckten Plattform, ähnlich einem Altar, aufgehäuft aus unzähligen Steinen. Die 4,5 Meter hohen Statuen strahlen eine Autorität aus, der man sich nicht entziehen kann. Schauen seltsam entrückt über die Landschaft, blicken aus tiefen Augenhöhlen in die Ferne über wogende, grün und gelblich schimmernde Steppen. Ihre klar konturierten schmalen Lippen und die markante Kinnpartie verraten Entschlossenheit und Tatkraft. Die Steinriesen von Ahu Akivi symbolisieren die sieben Boten, die der Ursprungslegende nach vom polynesischen König Hotu Matua ausgesandt wurden, um die Insel zu erforschen, erklärt unser Guide. Moais sind die größten menschlichen Bildnisse, die je geschaffen wurden. Sie repräsentieren mächtige Clanführer, soviel gilt als gesichert. 887 dieser mächtigen Statuen existieren. Warum nur haben die Rapa Nui die viele Tonnen schweren Kolosse aus dem Vulkanstein geschaffen? Als Werkzeug benutzten sie Steinzeit-Faustkeile aus Basalt, keinen Hammer, keinen Meisel, Metall kannten sie nicht. Und das noch größere Mysterium: Wie haben sie die viele Tonnen schweren Giganten aufgerichtet und bis zu 15 Kilometer weit transportiert, vom Ort ihrer Entstehung, dem Vulkan Ranu Raraku?

Die Wanderung entlang der Westküste zeigt die wilde Schönheit einer Landschaft wie in Cornwall – rötlichbraune Klippen, die aus Schwindel erregender Höhe steil zum Pazifik abfallen. Das Meer leuchtet in einem unfassbar dunklen Türkisblau. Vielleicht hat das mit der Meerestiefe zu tun, direkt an der Küstenlinie bricht die Erdkruste ab in einen Abgrund von 3.000 Metern. Wir erforschen Höhlen, die Lavaströme beim Erkalten gebildet haben. Während man sich durch klaustrophobisch schmale Eingänge zwängt, tut man gut daran, den Ratschlag des Guides zu beherzigen, sich immer mit den Händen über dem Kopf vorzutasten, um in der dunklen Enge schmerzhafte Zusammenstöße mit den Felswänden zu vermeiden. In den Höhlen haben die Rapa Nui Schutz vor ihren Feinden gesucht, zu einer Zeit, als die Clans anfingen, sich gegenseitig zu bekämpfen, wahrscheinlich weil die Insel mit schätzungsweise 15.000 Bewohnern übervölkert war und es an Nahrungsmitteln fehlte. Ziel der Küstenwanderung ist das Grab des amerikanischen Archäologen William Mulloy (1917–1976), der sein Forscherleben der Insel widmete und trotzdem viele Rätsel nicht lösen konnte.

Das Erklimmen des Vulkans Ranu Raraku, der Geburtsstätte sämtlicher Moais, erfordert mehr Kondition. Belohnt wird die Anstrengung mit einem 360 Grad Panorama-Blick, am Horizont glaubt man die Erdkrümmung zu erkennen. Wilde Pferde grasen am Kraterrand. 12.000 gibt es davon auf der Insel, mehr als zweimal so viel wie Einwohner. Das idyllische Bild offenbart erst allmählich die Zeugnisse der dramatischen Ereignisse, die sich hier abgespielt haben müssen. Im Krater liegen hunderte Moais in den unterschiedlichsten Stadien ihrer Fertigung. 397 sind es genau. Welche Katastrophe hat diese Massenproduktion, die schon an Besessenheit grenzte, so abrupt zum Erliegen gebracht? Bis heute versuchen Wissenschaftler, die Ereignisse zu rekonstruieren. Vermutet wird, dass es eine von den Menschen selbst verursachte ökologische Katastrophe war, welche die Fertigung stoppte. Von einem Ökozid spricht Pulitzerpreisträger Jared Diamond in seinem 2005 erschienen Bestseller „Kollaps“. Für den Transport der Giganten brauchte man Baumstämme. Immer mehr und immer größere Figuren wurden aus dem Tuffstein gehauen, bis schließlich der letzte Baum gefällt war. Bodenerosion setzte ein, es gab noch nicht mal mehr Holz, um Boote zu bauen und zum Fischen aufs Meer zu fahren. Diamond nimmt die Rapa Nui als Metapher einer Gesellschaft, die sich durch Ausbeutung ihrer wenigen Ressourcen selbst zerstörte. Eine neuere These, dass die Giganten an langen Seilen gebunden hin und her schaukelnd bewegt worden seien, die in einem Experiment vorgeführt wurde und für viel Wirbel sorgte, gilt allerdings in Forscherkreisen als wenig belastbar.

So viel Drama verlangt nach Entspannung. Beim Schwimmen im etwas abseits gelegenen Hotelpool wird man neugierig beäugt von Wildpferden, die den Pool als Tränke nutzen wollen. In der Lobby-Lounge lässt man sich in die dicken blütenweißen Kissen der italienischen Designercouchen sinken. Doch das Schmökern in den Büchern über die Geschichte der Insel will nicht recht gelingen. Immer wieder schweift der Blick durch XXL-Fenster über die Landschaft, diesem Bild von meditativer Ruhe und vollkommener Harmonie. Am nächsten Morgen starten wir am Ahu Tongariki mit 15 Moais, deren Restaurierung Japaner finanzierten. Sämtliche Statuen auf der Insel waren umgestürzt, offensichtlich eine Folge der Clankriege und der Tsunamis, die immer wieder über die Insel brachen. Nicht alle Rapa Nui sind einverstanden mit den Restaurierungen, berichtet Nico, der in Santiago studiert hat und seine Haare lang trägt, wie fast alle jungen Männer hier. Viele Rapa Nui befürchten, dass die Plätze ihre spirituelle Kraft, das ihnen innewohnende „Mana“ verlieren. Felsgravuren sind zu sehen, eine Schildkröte, ein Thunfisch, ein Uterus, ein Phallus. Fundamente von Häusern zu erkennen mit den Grundrissen von Booten. Sie symbolisieren den Traum, wieder das Meer zu befahren, in einer Zeit, als schon alle Wälder abgeholzt waren.

Unser Weg führt über Geröllfelder von Vulkansteinen. Wohin man schaut, Steine, nirgendwo Bäume, die Schatten spenden könnten. Guides wie Nico bringen die Steine zum Sprechen: Mit Steinen haben die Rapa Nui Hühnerställe gebaut, Steine haben sie in Kreisen zu einer Art Gewächshaus aufgeschichtet, um Pflanzen vor Wind und zu viel Sonne zu schützen, mit Steinen haben sie die Erde abgedeckt, um sie vorm Austrocknen zu bewahren. Vermutlich haben sie so ihr Überleben gesichert. Ein großer plan geschliffener runder Stein an unserem Weg mit einem Durchmesser von mindestens einem Meter markiert das Zentrum ihrer Welt. Ein geheiligter Platz. Stundenlang haben seine Vorfahren vor dem Stein mit sich berührenden Fingerspitzen gesessen und über ihr Leben meditiert, erzählt unser Guide. Am Palmenstrand von Anakena, im Norden der Insel, sollen vor 1.000 Jahren die ersten polynesischen Siedler angelandet sein. Dort erwarten uns am weißen Sandstrand explora-Mitarbeiter mit einem köstlichen Picknick, frischen Salaten, gegrilltem Fisch und Brownies zum Dessert. Keine Frage, Abenteuer sind doppelt großartig, wenn sie so komfortabel abgefedert werden. Wir treffen die berühmte Archäologin Sonia Haoa, deren Team mit Fragmenten von Moai-Augen einen sensationellen Fund machte. Sonia ist davon überzeugt, dass ihre Vorfahren die Moais bauten, „weil dafür eine absolute Notwendigkeit bestand. Sie mussten an etwas glauben, das stärker war als sie selbst.“ Die Isolation ist für sie der entscheidende Faktor. Man müsse sich vorstellen, was es bedeute, auf so engem Raum zusammenzuleben, ohne die geringste Aussicht, ausweichen zu können, auch nur ein einziges Mal die Insel verlassen zu können.

Bis in die sechziger Jahre kam nur einmal pro Monat ein Versorgungsschiff auf die Osterinsel. Oft genug konnte es wegen der Stürme wochenlang nicht entladen werden. Noch heute hält die Regierung 600 Kühe als Nahrungsreserve. Erst als die NASA den Flughafen ausbaute, um notfalls den Space Shuttle landen zu können, begann der Tourismus. Der befindet sich gerade an einem Scheidepunkt, große Hotelketten zeigen Interesse, wollen investieren. Jetzt ist es an den Bewohnern selbst, Regeln zu entwickeln. Erst in unseren Tagen haben die Rapa Nui die Kontrolle über ihre Insel zurückzubekommen, nach Zeiten der Fremdbestimmung, die nicht lange nach der Entdeckung begann. „Das archäologische Erbe ist ihr Öl“, sagt Sonia, „ihr Reichtum. Die Rapa Nui müssen lernen, dieses wertvolle Erbe zu schützen. Das ist ihre Zukunft.“ Auch deutsche Forscherteams arbeiten daran, Verfahren zu entwickeln, die Statuen zu konservieren. Am Vulkankrater Rano Kao an der Südwestspitze zeigt die Insel ihr großartigstes Landschaftsbild. Schwarz schimmert das Wasser im Krater. Dunkelgrünes Schilf lässt die Farbe geheimnisvoll changieren. Der Himmel bietet ein ständig wechselndes  Wolkenspiel, das sich im Kratersee widerspiegelt. Orongo ist Ort des Vogelmannkultes, der vermutlich den Moai-Kult ablöste und bis 1862 praktiziert wurde. In jedem Frühjahr wurde der lebensgefährliche Wettstreit ausgetragen. Der Mann, der das erste Ei des heiligen Manu Tara, der schwarzen Seeschwalbe, von der sturmumtosten vorgelagerten Felseninsel Motu Nui zurückbrachte, wurde Herrscher für ein Jahr. Der Kult lebt heute im Tapati-Fest fort, das jeden Februar zwei Wochen lang zelebriert wird und ganz Rapa Nui in den Ausnahmezustand versetzt. Kein Touristenspektakel, sondern ein Adrenalin-geschwängerter Kult mit sportlichen Wettbewerben, die viel Mut erfordern und bei denen sich die sechs stärksten Männer der Insel messen. Der letzte Nachmittag in Hanga Roa, dem einzigen Ort der Insel, bringt fast so etwas wie Normalität nach der aufwühlenden und faszinierenden Begegnung mit den Moais. Auf der kleinen Hauptstraße reihen sich Souvenirläden, die von Hand geschnitzte Statuen anbieten. Birkenstocks gibt’s auch zu kaufen. Der kleine Fischerhafen mit kunterbunten Booten und Palmen entspricht genau dem Bild von einem Südseehafen. Surfer gleiten über die perfekte Welle, die sich draußen auftürmt. Am Kai hat Mike Rapu, der an explora sein Land verpachtete, seine Tauchschule und das einzige Eiscafé der Insel. Der Weltklasse-Apnoetaucher, dessen Gesichtszüge an die der Statuen erinnern, ist ein Visionär, will die touristische Entwicklung, aber auf einem hohen Niveau. Alles sei eine Frage der Balance.