Sobald das schmiedeeiserne Tor geräuschlos zur Seite schwingt, begibt sich der Gast auf eine Zeitreise. Über ein Pflaster aus rund geschliffenen Marmorsteinen rollt der Wagen vor die repräsentative Freitreppe. Man gibt den Schlüssel ab und muss sich fortan um nichts mehr kümmern. Betritt ein Vestibül, das an einen venezianischen Palazzo erinnert und einen Durchblick bis zum See gewährt. Am liebsten möchte man sich gleich an einen der zierlichen Tische setzen auf der mit Säulen bestückten Veranda oder direkt am See. Einen Bellini trinken, für den die Villa berühmt ist. Der in einer mit Eiswürfeln gefüllten Karaffe gemixt wird, mit frisch passiertem Mark von weißen Pfirsichen und Schaumwein aus der nahen Franciacorta, der im Champagnerverfahren hergestellt wird. Dazu köstliche Canapés knabbern, winzige geröstete Bruscetta mit sonnengereiften Cocktailtomaten, Bällchen von feinstem Tartar auf salzigem Mürbeteig – und einfach nur in den Blick auf den See versinken. Die Villa Feltrinelli in Gargnano ist ein Refugium der Superlative. Sie liegt inmitten eines weitläufigen Parks, der sich zu einem ausgedehnten privaten Seeufer öffnet. Mit ihren 20 Suiten und einem Bootshaus ist sie das wahrscheinlich kleinste Grandhotel der Welt und hat sich gleichzeitig den Charakter eines großbürgerlichen Privathauses bewahrt. Die legendäre Papiermagnaten- und spätere Verleger-Familie Feltrinelli hatte sich das markante in Ocker und Cotto gestreifte Anwesen 1892 im Liberty-Stil als Sommer-Domizil erbauen lassen. Es ist mehr als eine ironische Fußnote der Geschichte, dass im Sommer-Sitz der bekanntermaßen linken Unternehmerfamilie Benito Mussolini von 1943 bis 1945 festgesetzt war und von dort die Repubblica di Salò, die letzte Bastion des Faschismus in Italien, lenkte.
Mit einem ungeheuren finanziellen Aufwand und unter strengsten Auflagen des Denkmalschutzes wurde die Villa kurz vor der Jahrtausendwende restauriert, mit geradezu obsessiver Akribie die prachtvolle Opulenz der Räume wiederhergestellt, die prunkvolle historische Bausubstanz sichtbar gemacht, die kostbaren Intarsienarbeiten, die Deckengemälde und Fresken. Details, wie die Original Familienbilder an den Wänden, die Bücher, die zum Schmökern bereit liegen, der Honesty Bar, an der man sich bedienen kann, vermitteln dem Gast immer noch das Gefühl bei einer sehr wohlhabenden und großzügigen Familie zu Gast zu sein. Nur konnten wahrscheinlich auch die reichen Feltrinellis nicht mit dieser Zahl an Bediensteten aufwarten. Heute sorgen 80 Angestellte dafür, dass den maximal 40 Gästen nahezu alle Wünsche erfüllt werden. Über jeden Gast wird Buch geführt, seine Vorlieben und Abneigungen minutiös verzeichnet. Allein zehn Gärtner und ein Landschaftsarchitekt pflegen den 3,2 Hektar großen Park mit seinem wertvollen Baumbestand, den Magnolien mit ihren tellergroßen weißen Blüten, schneiden die Buchsbäume in Form, wässern den wie manikürt wirkenden Rasen, kämmen am Morgen auch das kleinste verwelkte Blättchen von Hecken und Sträuchern. Überall laden verträumte Plätze zum Ruhen ein, unter 100jährigen Linden, die willkommenen Schatten spenden, auf dem Bootssteg, am Pool. In der Limonaia werden Zitronen geerntet, die in der Patisserie zu köstlich mürben Zitronenkeksen verarbeitet werden, die Gäste auf ihren Suiten zum ständigen Naschen verführen. Man sollte sich bremsen, denn am Abend wartet ein exzellentes Dinner der Zwei-Sterne-Küche von Chef Stefano Baiocco, der seine Gerichte modern und federleicht zubereitet. Ein erfrischender Salat von Avocado, Foie Gras, grünem Apfel, Gurke und Lachsforelle oder Tortellini mit Carbonara-Sauce zusammen mit Broccoli mit Anchovis. Auf kostbaren Tellern werden die Gerichte als kleine Kunstwerke präsentiert. Die Weinbegleitung, fruchtiger Lugana, Chardonnay, Pinot Nero und Dessertwein, wird in hauchfeinen Gläsern ausgeschenkt. Kleine Mosaiksteine, die ein perfektes Ganzes ergeben.
Dieses stimmige Gesamtbild zu bewahren ist die Aufgabe von General Manager Markus Odermatt. Der Schweizer berichtet, dass die zahlreichen Stammgäste der Villa immer wieder den Wunsch äußern, dass alles so bleiben solle, wie es ist. Deswegen finden sämtliche Arbeiten, die zu tun sind, um das hohe Niveau zu halten, die Technik auf den neuesten Stand zu bringen, notwendige Renovierungsarbeiten, im Verborgenen statt. Der Gast soll keinerlei Veränderung wahrnehmen, wenn er in der nächsten Saison wiederkommt. Kontinuität sei das Wichtigste.