Zerbrechlich schön und unwiderstehlich … Venedig
Story BÄRBEL HOLZBERG
Images BÄRBEL HOLZBERG, Wolfgang Linhard
Nirgendwo kann man sich schöner verlieren als in Venedig, dieser zerbrechlichen, unwirklich schönen in die Lagune gebauten Stadt, deren Sehenswürdigkeiten jedes Kind aufzählen kann.
Die Piazza San Marco, gesäumt von prunkvollen Bauten, die Napoleon den „schönsten Salon der Welt“ nannte, den schlanken sich hoch reckenden Campanile, von dem man eine großartige Aussicht genießen kann. Der Dogenpalast, von dem das politische Machtzentrum gesteuert wurde, das Theater La Fenice, eine der berühmtesten Opernbühnen Italiens. Und natürlich die Rialtobrücke, über den Canal Grande, ewig umlagert von Massen von Touristen. Und ja, all diese grandiosen Monumente, die vom unermesslichen Reichtum der Stadt erzählen, deren Handelswege den Mittelmeerraum umspannten, gehören mit zu einem Venedig-Besuch – und die werden Sie mit Massen anderer Touristen teilen müssen.
Zwei Themen beherrschen die Schlagzeilen über Venedig, das als prominentestes Beispiel für Overtourism herhalten muss: die Kreuzfahrtschiffe, die grotesk gigantisch ausschauen, wenn sie über den Giudecca Kanal einlaufen und aus denen sich innerhalb kürzester Zeit Tausende von Tagestouristen in das Centro Storico ergießen. Zum zweiten die Abwanderung der Venezianer aufs Festland. Beides trifft zu. Und trotzdem muss man einfach hin in diese Stadt, die nur Schönheit ist, in der abseits der Touristen-Trampelpfade so viel zu entdecken ist. Wo man von stillen Momenten überrascht werden kann, wenn man seiner Intuition traut. Eine Stadt, in der Museen voller Kunstschätze willkommene Ruheoasen bieten, in der während der Biennale die hippe internationale Kunstwelt zu den Hauptausstellungsorten Giardini und Arsenale strömt.
Allen Wehklagen zum Trotz, dass so viele Venezianer ihrer Heimat den Rücken kehren, in letzter Zeit lässt sich ein Gegentrend beobachten. Es eröffnen wieder kleine besondere Geschäfte, hinten die Werkstatt, vorne der Laden, wie es typisch für Venedig ist. Vergessen Sie Google Maps, lassen Sie sich treiben durch die Calli, entlang der Fondamenti, nehmen Sie den nächsten Sotoportego, ein Durchgang unter einem Haus, der auf eine Calle mündet, die dann unmittelbar an einem Kanal endet und Sie zwingt wieder umzukehren. Aber dafür haben Sie vielleicht ein wunderbares Fotomotiv eingefangen, ein geheimnisvoll dunkel schimmernder Wasserlauf, den eine reich geschmückte Gondel befährt.
Venezianer und Touristen sind leicht zu unterscheiden, die einen eilen schnellen Schrittes durch Gassen und über Brücken, wissen, dass man nicht unvermittelt auf der rechten Seite stehen bleibt, die anderen schauen wie fremdgesteuert ständig auf ihr Smartphone. Machen Sie es nicht wie alle anderen. Laufen Sie los, bleiben Sie – am besten auf einem Campo - stehen, schauen auch mal nach oben auf die prachtvollen Fassaden, setzen sich in eine der stillen Kirchen, freuen sich, wenn sich nach langen Irrwegen ein grandioser Platz öffnet und Sie wieder wissen, wo Sie sich befinden. Machen Sie es wie die Venezianer und kehren beim nächsten Bacaro ein, trinken einen Spritz und lassen sich von all den Cicchettis, köstlich belegten Häppchen, verführen, viel mehr zu essen als Sie eigentlich wollten. Vielleicht auf dem Campo Santa Margherita, auf dem sich abends die jungen Venezianer treffen; wollen Sie es etwas ruhiger haben, dann bummeln Sie an der Fondamenta Zattere entlang, wenn die untergehende Sonne die Giudecca in warmes Licht taucht.
Nehmen Sie das Vaporetto nach Cannaregio, dem größten der sechs venezianischen Sestieri, am grünen Teil Venedigs entlang, Giardini, Arsenale, S Elena und Fondamenta Nove. Wenige Schritte von der Haltestelle Madonna dell‘Orto zieht sich die Fondamenta Misericordia, die sich in den letzten Jahren zu einem lebendigen Abendtreff entwickelt hat. Am Kanal reiht sich Tisch an Tisch, auf der anderen Seite die dazugehörenden Restaurants und Bars. Die Stimmung? Lebhaft, ausgelassen, fröhlich.